Festrede zur Verleihung des Goldenen Ehrenbandes
Von Elmar Brohl
- 8 Minuten - 1493 WörterAnders als die Tiere lassen die Menschen ihre Verstorbenen nicht am Wegesrand liegen, sondern ehren ihre Toten, indem sie sie begraben und im Gedächtnis behalten. Das Gedächtnis einer Organisation ist ein Archiv, das einem Erinnerungsverlust vorbeugt. Die Erinnerung bzw. das Wissen um die Aktivitäten der Mitglieder und um deren Grundsätze, die anhand des schriftlichen Nachlasses in einem Archiv nachvollziehbar sind, ist zugleich Voraussetzung dafür, dass die Entwicklungslinien ihrer Organisation nachvollzogen werden können, gleichgültig ob sie Fortschritte gebracht haben oder nur Irrwege waren. Im Unterschied zu studentischen Vereinen sind die CV-Verbindungen Lebensgemeinschaften, vergleichbar einer Ehe. Beide umfassen nicht allein die Lebenden, sondern auch die Vorgänger und Nachfolger. Auf diese Gemeinschaft, die über Raum und Zeit hinausreicht, wies oft Bbr. Happe hin, als es noch auf jedem Frisen-Stiftungsfest eine Messe in der Krypta von St. Clemens zur Erinnerung an unsere verstorbenen Bundesbrüder gab.
Was macht nun ein Archivar? Jedenfalls nicht das, was der Apostel Paulus seinen Gemeindemitgliedern in Ephesus auftrug (Apostelgeschichte 19. Kap- Vers 1), nämlich ihre heidnischen Papiere öffentlich zu verbrennen. Die Vernichtung von missliebigen Publikationen war also schon 1900 Jahre vor dem 1. Mai 1935 bekannt, 1935 als Schmutz und Schund geschmäht, und daran war auch die Frisia beteiligt, auf einem schlimmen Irrweg.
Ansätze zu einem Frisen-Archiv gab es 1955, als laut Frisenbrief Nr. 2 Bbr. Dahlmann fragte, wo die Fotos von Frisen und deren Foto-Alben aus dem alten Haus geblieben seien und ob nicht davon ein Dia-Archiv erstellt werden sollte. Ergebnis: keine Resonanz. Dann fragte ich in Heft 8 von 1959, ob nicht die älteren Alten Herren ihren Schriftwechsel und ihre Fotos der Verbindung zur Verfügung stellen könnten; denn im Chargenzimmer gab es nur ganz wenige ältere Akten, die auch nur chaotisch herumlagen. Antworten gab es wiederum nicht. Rundschreiben solcher Art verpuffen im Allgemeinen, aber das wusste ich damals noch nicht. Ähnliche Erfahrungen hat Cartellbruder Schieweck-Mauk bei der Erstellung des CV-Lexikons gemacht. Man muss, wenn man Auskünfte braucht, geeignete Personen direkt ansprechen.
Dass ich archivalisches Interesse entwickelt habe, geht auch auf eine Zusammenarbeit mit Bbr. Dieter Meyer-Rhotert 1962/63 in Hürth zurück, wo ich damals beschäftigt war. Anlass für diese gemeinsame Arbeit war der Abbruch einer Burgruine, wofür das Denkmalamt eine Dokumentation durch Zeichnungen und eine bauhistorische Würdigung verlangte. Da die Stadt Hürth für die Untersuchung des Bauwerks keine geeignete Hilfskraft hatte, schlug ich eine Beauftragung von Bbr. Meyer-Rhotert vor, von dem ich wusste, dass er für sein Examen eine baugeschichtliche Arbeit benötigte. Das Einmessen erfolgte während einiger Wochen gemeinsam. Die historische Würdigung des Bauwerks musste ich allein erstellen, weil das Studium der Akten, die bis weit ins 15. Jh. reichten, sich über viele Jahre hinzog. Für die nötige Archivarbeit konnte ich mit der Hilfe von Cbr. Güttsches, der damals Vorsitzender des CV-Rats und Leiter des Kölner Stadtarchivs war, Akten aus diesem Archiv ausleihen und, gemeinsam mit meiner Frau, nach Feierabend im 100 m entfernten Büro des Stadtdirektors bearbeiten; dort gab es einen Tresor, in dem die Akten gesichert aufbewahrt wurden. In den vielen Abendstunden ließen wir „Rabeneltern" unsere Kinder allein zu Haus; sie schliefen ruhig. Schließlich mündeten die Arbeiten in zwei Publikationen zur Geschichte von Burg und Dorf Hürth-Hermülheim. Danach gab es beruflich bedingt für mich eine längere Pause bei der Frisia.
Im Herbst 1979 fragte mich AH-Senior Hemfort, ob ich mich nicht für ein Frisen-Archiv engagieren könnte. Ich sagte zu und damit begann meine Tätigkeit als „Archivar in Anführungsstrichen"; denn dieses Amt gibt es in der Geschäftsordnung unserer Verbindung gar nicht, bis heute. Ich bemühte mich sogleich um die ersten 12 Frisen-Jahrgänge, also um diejenigen bis zum 1. Weltkrieg. Aber: 1979 war eigentlich zu spät, um Informationen für eine Zeit zu erlangen, die mehr als 60 Jahre zurücklag. Es gab damals nur noch 11 Alte Herren im Alter von mehr als 80 Jahren, und von den 50 Alten Herren der Jahrgänge vor dem 2. Weltkrieg hatten viele infolge des Kriegs ihre Habe verloren. Ich habe dennoch viele Bundesbrüder dieser Jahrgänge angeschrieben und viele auch aufgesucht,- leider nicht alle -, und viele Witwen. Ich weiß nicht mehr, wer es gesagt hat: Die Frauen der Frisen sind die besseren Frisen. Jedenfalls erhielt ich umfangreiches Material von Frisen-Witwen. Viele Alte Herren waren bei der Identifizierung der Personen auf älteren Fotos behilflich. Besonders viele Hinweise habe ich von Happe, Reis, Broer, Kister und Bette erhalten. 1981 und 1982 führten mich Reisen, gemeinsam mit meiner Frau, zu etlichen Alten Herren und Frisen-Witwen, um nur einige zu nennen: zu Laudahn in Hannover, Benzler in Köln, Dietrich und Beck in Trier. Im April 1983 war ich auf Materialsuche im CV-Archiv in Regensburg und im CV-Sekretariat in München, wieder mit meiner Frau, später bei Linneborn in Wiesbaden, bei Ostermanns Schwiegersohn in Münster, bei Frau von Danwitz in Tönnisvorst, der Schwägerin des AH-Seniors Karl von Danwitz (+ 1929) und noch 2020 bei Flosdorf in Siegen.
Ein Archiv ist nicht billig, die Materialkosten sind nicht gering; laut meinen Abrechnungen zwischen 1981 und 2000 hat die Altherrenkasse 3.300 Mark dafür ausgegeben, die meisten Beträge für damals noch teure Kopien. Hinzu sind noch die Kosten für Regale und Schränke zu rechnen; das Archiv ist immerhin dreimal im Frisen-Haus mit neuen Regalen umgezogen. Es befand sich zunächst in einem Abstellraum im Dachgeschoss. Dort wurde ich beinah von einem Schrank, dessen dünne Blechstützen einknickten, erschlagen. Bald danach wurde ein Schrank im Flur der 2. Etage für die Unterbringung der Akten in rollbaren Regalen umgebaut, deren Rollen aber wegen des hohen Gewichts der Akten klemmten. Danach befand sich das Archiv für kurze Zeit eine Etage höher, als das Haus über längere Zeit nur schwach belegt war. Schließlich befindet sich das Archiv bis heute im ehemaligen Studienraum (Goethe-Saal) im Dachgeschoss.
Die Aufgabe des Archivars bestand in den ersten Jahrzehnten aus der Sichtung, sozusagen ob es sich um belangloses Papier oder Archivgut handelt, und dann um eine sachgemäße Zuordnung, die nicht immer einfach war, sowie um Aussonderung, wenn dieselbe Korrespondenz sich in den Akten der Altherrenschaft und der Aktivitas befand. Es ist allerdings unglaublich, wie chaotisch manche Schriftführer ihre Akten geführt haben, mal chronologisch, mal sachbezogen, mal von vorn nach hinten und mal umgekehrt, und manchmal tauchen auch Vorgänge in falschen Akten auf, als Beispiel ein Schriftwechsel von 1978 in einer Akte von 1972, abgeheftet nach der Devise: Hauptsache, dass ich reinen Tisch hinterlasse. Um die Fotoalben hat sich übrigens seit etwa 2000 kein Aktiver mehr bemüht; sie sind oft undatiert und unbeschriftet abgelegt. Welchen Aussage-Wert haben sie dann noch? Mit der Verwendung von Smartphones gibt es nur noch private Fotoalben. Das Archiv ist inzwischen in 3 Gruppen geordnet: Akten der Aktivitas, Akten der Altherrenschaft und Akten zu übergreifenden Aktivitäten, wie z. B. Hausbau, Jubiläen, Fotoalben, Publikationen.17 Bände gebundene Frisenbriefe und 18 Fotoalben aus den Jahren 1902-1938 stehen außerdem noch bereit.
1997 hatten zwei Bundesbrüder ein Projekt zur Digitalisierung des Schriftguts entwickelt, entsprechendes Gerät wurde auch gekauft, das Verfahren erwies sich aber als nicht praktikabel. Dank des Engagements der Beumer-Group sind seit 2017 die Frisenbriefe aus der Zeit vor 1939 und das ältere Rezeptionsbuch digitalisiert abrufbar. Weitere Digitalisierungen sind aktuell geplant. Sie erfordern aber, dass zuerst die einzelnen Schriftstücke systematisch geordnet werden.
Die IT-Technik hat die Korrespondenz billiger und schneller gemacht. Der digitale Schriftwechsel beschert aber neue Probleme; denn die meiste Korrespondenz erfolgt heute elektronisch, die Informationen über Smartphones werden kaum gespeichert. Gedruckt festgehalten werden die Protokolle, die aber kaum etwas darüber aussagen, auf welche Weise die betr. Beschlüsse zustande gekommen sind. Nach welchen Kriterien die elektronischen Daten geordnet werden sollen, ist ebenfalls unklar. Schon gar nicht ist geklärt ist, wer diese Arbeit vornehmen soll, der jeweilige Schriftführer oder der Senior oder der Archivar , und alles sowohl für die Aktivitas als auch für die Altherrenschaft. Und wer führt die einzelnen Dateien zusammen? Angesichts der Zweifel an der Beständigkeit der bisherigen Speicherung bleibt die Frage, ob nicht generell externe Speicher eingesetzt werden sollten. Es ist zu hoffen, dass nicht jede Verbindung aufwendig ein eigenes System der Datenverarbeitung und Datensicherung erarbeitet, sondern dass die Verbandsspitze ein unkompliziertes Modell bereitstellt.
Die Aufgabe eines Archivars besteht im Sammeln – Sichten – Ordnen – Sichern von Informationen. Die ersten 3 Phasen sind für das Material bis etwa 1970 abgeschlossen. Jetzt muss deren Sicherung folgen, das heißt, es sind alle Bestandteile aus Metall und Kunststoff zu entfernen und das Material in säurefreien Kartons zu verwahren. Daran schließt sich die Digitalisierung an, sodass nur dann, wenn es unbedingt nötig ist, auf die Originale zurückgriffen werden muss. Ein Teil des Archivs befindet sich bei mir zuhause in 2 Schränken, zur Bearbeitung und für eine schnelle Auskunft. Wie die Recherche ist auch diese zeitliche, räumliche und finanzielle Belastung nur unter Mitarbeit einer lieben Frau möglich.
Mich freut die Anerkennung meiner Arbeit als Archivar durch das Goldene Band. Ich kann daher wie Goethe sagen:
Manches Herrliche der Welt ist in Krieg und Streit zerronnen; wer beschützet und erhält, hat das schönste Los gewonnen.
Das Goldene Band ist aber kein Grund, mich zur Ruhe zu setzen. Wann ich diese Arbeiten beende, entscheidet der Liebe Gott oder der CC.