Exkursionsfahrt nach Brüssel
- 10 Minuten - 1956 WörterIm Rahmen der Arbeit des Vorortes Fulda / Gießen ergab sich die Möglichkeit, an einer CV-Studienfahrt vom 22. bis zum 25. März nach Brüssel teilzunehmen. Diese versammelte 40 Cartellbrüder - von Kiel bis nach Freiburg und von Aachen bis nach Berlin.
Neben dem Besuch von Cartellbrüdern, die in zentralen europäischen Institutionen und Organisationen beschäftigt sind, bildete der Austausch mit Unternehmen und Verbänden den Abschluss dieser besonders gelungenen Exkursion.
Bereits am frühen Morgen der Anreise war die Vorfreude auf Seiten der Reisegruppe aus Niedersachsen spürbar. Drei Cartellbrüder e.v. KDStV Niedersachsen, sowie Cartellbruder Julian Halbritter (Nds, S-S) ließen sich die Einladung zum gemeinsamen Frühstück auf dem Haus Frisiae nicht entgehen.
Nach erfolgter Stärkung ging es mit dem Auto gen Belgien los.
Der Verkehr im Raum Brüssel war deutlich schlimmer, als befürchtet, sodass wir das Fahrzeug erst mit einiger Verspätung im Parkhaus abstellen konnten. Aufgrund dessen fiel für uns bedauerlicherweise der erste Termin des Gesprächs mit dem Cartellbruder Robert Möhrle (ChT) aus.
Dem Ausklang in einem Brüsseler Restaurant folgte nach dem Degustieren belgischer Bierspezialitäten die Vorbereitung auf den folgenden Tag.
Den Beginn am Donnerstag machte der Besuch des Europäischen Parlamentes. Im 2022 neu eröffneten Besucherzentrum für Gruppen, welches nach dem österreichischen Schriftsteller Stefan Zweig benannt wurde, empfingen wir ausgewählte Parlamentarier aus dem CV und ÖCV.
Den Beginn machte Cbr. Jens Gieseke (Wd).
Cbr. Gieseke, mir bereits seit seiner Festrede auf dem Kommers des Kieler »Treffen im Westen« 2017 in Bad Zwischenahn bekannt, zog die Aufmerksamkeit in gekonnter Emsländer Art auf sich und schaffte es zentrale Themen der gegenwärtigen europäischen Politik auf den Punkt zu bringen. Als stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr und Tourismus und Co-Leiter des Parlamentskreises Mittelstand der EVP-Fraktion betonte er insbesondere die Herausforderungen der Mobilitätswende, sowie die Wichtigkeit in diesem Prozess die Unternehmen mitsamt den dort vorhandenen Arbeitsplätzen nicht zu vergessen. Ihm zufolge sei die Technologieoffenheit ein wichtiges Kriterium, um Innovation und Fortschritt zu ermöglichen und die Europäische Union im Wettbewerb mit anderen Ländern und Regionen auf ein gesundes Fundament zu stellen.
Grundsätzlich war die Mobilitätswende ein bestimmendes Thema in Brüssel in unserer Woche: Am Mittwoch, dem Tag unserer Anreise, sorgte die Uneinigkeit der Bundesregierung zum EU-Gesetzesvorhaben, welches ein Verbot der Neuzulassung von Verbrenner-Fahrzeugen ab 2035 vorsieht, dafür, dass sich Deutschland in der Abstimmung enthalten wird. Grundsätzlich stellt dies kein Problem dar und ist in bestimmten Fragen, in denen die Koalition uneinig ist, gängige Praxis. Problematisch an diesem Fall ist, dass Deutschland durch die Enthaltung dafür gesorgt hat, dass eine Sperrminorität1 greift und das Vorhaben dadurch blockiert wird.
Insbesondere die FDP, die mit Volker Wissing den Verkehrsminister und das hier zuständige Ressort stellt, sieht Klärungsbedarf auf europäischer Ebene. Die Kritik der nicht-deutschen Parlamentarier richtet sich in besonders scharfer Weise gegen Deutschland, da es sich beim Gesetzesvorhaben bereits um einen seit anderthalb Jahren ausgehandelten Kompromiss handelt, der in vorherigen Besprechungen auf Zustimmung getroffen ist.
Auf Cbr. Gieseke folgte Cbr. Andreas Schwab (RFb).
Der in Rottweil geborene CDU-Politiker ist bereits seit 2004 Mitglied des Europäischen Parlamentes und ist in der aktuellen Legislaturperiode insbesondere für den Binnenmarkt und den Verbraucherschutz zuständig.
Ihm folgte Cbr. Lukas Mandl (Rt-D), der als ÖVP-Abgeordneter den Wahlkreis Niederösterreich vertritt. Seine Schwerpunkte bilden die Themen bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres. Ebenso ist er Mitglied im Sonderausschuss, der sich mit der ausländischen Einflussnahme auf demokratische Prozesse in der Europäischen Union, sowie der Stärkung der Integrität, Transparenz und Rechenschaftspflicht innerhalb des Europäischen Parlamentes beschäftigt.
Gerade der geplante European Media Freedom Act, der eine Stärkung der Unabhängigkeit der Medien- und Presselandschaft in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten bewirken soll, ist ein großes Projekt innerhalb der EU. Fraglich bleibt, inwieweit die in der Folge avisierte Gründung einer unabhängigen europäischen Kontrollagentur über entsprechende Sanktionsmechanismen gegenüber Mitgliedsstaaten verfügen wird und welche Kriterien an eine unabhängige Berichterstattung definiert werden.
Zum Abschluss der Gesprächsrunde wartete mit Cbr. Dr. Othmar Karas (Walth) der Erste Vizepräsident des Europäischen Parlaments auf uns. Im gemeinsamen Gespräch widmete sich Cbr. Karas insbesondere den Herausforderungen von Desinformationskampagnen in den Sozialen Medien. Spätestens seit Ausbruch des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine sei die zunehmende Einflussnahme aus dem Ausland erfahrbar und stelle aus seiner Sicht eine erhöhte Herausforderung für die Meinungsbildung der EU-Bürger dar.
Politiker, insbesondere EU-Politiker, seien zudem bereits vor dem Krieg erheblichen Angriffen und Beleidigungen ausgesetzt gewesen. Bedauerlicherweise treffen diese nicht die Abgeordneten selbst, sondern in den meisten Fällen die Mitarbeiter der Parlamentarier, die für die Verwaltung der Konten auf Facebook, Twitter und Co. zuständig sind.
Karas zufolge ist es für eine nachhaltig gesunde Gesellschaft in der EU notwendig, die Diskussion auf das zu lenken, »wo wir hinwollen und stets dafür zu arbeiten, dass wir die Mehrheit in der Mitte« haben. Ein Anbiedern an linke und rechte Parteien und Fraktionen, die im Europäischen Parlament vertreten sind, aber eine systemkritische Haltung zur EU einnehmen, sei nicht zielführend für eine stabile europäische Politik.
Im Anschluss an die Gespräche mit den Parlamentariern bildeten die Besichtigung des Plenargebäudes (Paul-Henri Spaak-Gebäude), sowie ein Blick in den Plenarsaal den Abschluss des Parlamentbesuches. Am äußeren Rand der Sitzplätze fielen insbesondere die über 27 Glaskabinen auf, in denen Simultan-Dolmetscher die Debatten in die jeweiligen Muttersprachen übersetzen.
Zwischen Parlament und dem Besuch des Hauses der Europäischen Geschichte hatten wir eine kurze Mittagspause zur Verfügung.
Belgien und CV, da waren Fritten die einzig richtige Option. Am nahegelegenen Place Jourdanplein wartete mit der Maison Antoine eine der besten Pommesbuden der Stadt. Anstelle von Pflanzenfett wird Rinderfett zum Frittieren benutzt. Bereits Angela Merkel ist begeisterter Gast gewesen, allerdings wird sie im Gegensatz zur CV-Reisegruppe nicht über eine halbe Stunde angestanden haben.
Nach der Mittagspause ging es weiter ins Haus der Europäischen Geschichte.
2019 eröffnet, ist es eines der neuesten Sehenswürdigkeiten im EU-Viertel Brüssels.
Die Grundidee geht auf den ehemaligen Präsidenten des Europäischen Parlaments, Dr. Hans-Gert Pöttering zurück, der in seiner Antrittsrede 2007 den Denkanstoß gab.
In Zusammenarbeit mit Historikern und Museumsexperten aus verschiedenen Staaten sollte die Geschichte Europas so breit wie möglich, und so neutral wie möglich verwirklicht werden: Von der Entstehung des Europäischen Kontinents, dem Selbstverständnis als Europäer, über die Tragödien des 20. Jahrhunderts bis hin zur Gegenwart.
Im Gegensatz zum Parlamentarium soll im neuen Museum europäische Geschichte im weiteren Sinne dargestellt werden und nicht allein auf die Entwicklung der EWG, EG und EU beschränkt sein. Der Eintritt ist kostenfrei, das Museum wird unter anderem vom Europäischen Parlament getragen.
Zum Beginn des Nachmittags ging es in die Rue Marie de Bourgogne, in der der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ihre Vertretungen haben.
In Folge der Vorstellung beider Spitzenverbände gab es auf Seiten der Reisegruppe ein spürbares Interesse daran, wie Interessensvertretung auf EU-Ebene tatsächlich funktioniert, und ob entsprechende Vorurteile über das Lobbying zutreffen.
Bereits frühzeitig waren die Vertreter beider Verbände darum bemüht zu betonen, dass zwar eine Interessensvertretung stattfindet, diese aber ebenso ihre Grenzen findet. Beispielsweise können Unternehmen Reglementierungen befürworten und sich für diese stark machen, die allerdings für ebenso im BDI vertretene Konkurrenten aus der Branche unattraktiv sind.
In diesen Fällen kommunizieren die Unternehmen vielmehr direkt mit den politischen Akteuren, und der BDI kann bei weitem weniger Einfluss nach außen geltend machen.
Für den BDI sind vor allem die Themen Klima und Energie relevanter geworden. Von Seiten der EU gibt es in diesem Sektor insbesondere die Initiative Fit for 55, die für Unternehmen im europäischen Handel zukünftig die Rahmenbedingungen definieren wird.
Ziel der EU ist es, ein Paket an klimapolitischen Gesetzen zu verabschieden, welche darauf abzielen, den Treibhausgasausstoß bis 2030 verpflichtend um mindestens 55% zu reduzieren. Bis 2050 setzt sich die Europäische Union mit ihren Mitgliedsstaaten als Ziel, klimaneutral zu sein.
Helfen soll insbesondere die Reform des Europäischen Emissionshandels (EU ETS), der in Zukunft auf Gebäude, Straßentransport und Treibstoffe ausgeweitet werden soll.
Des Weiteren sieht der BDI als Folge des Angriffskrieges von Russland die Notwendigkeit, Änderungen am europäischen Beihilferecht zu diskutieren, um in Zukunft wirtschaftliche Schäden, sowie Liefer- und Produktionsschwierigkeiten aufgrund von zu starken Dependenzen zu vermeiden und allgemein resilienter auf Krisen reagieren zu können.
Donnerstagabend ist traditionell der Place Luxembourg gut gefüllt.
An das Ende des Platzes grenzt direkt das Areal des Europäischen Parlamentes; so ist es kein Wunder, dass die anliegenden Cafés und Bars als erste After-Work-Anlaufstelle dienen.
Wir verbrachten den Abend in der Beer Factory, wo das Bier, im Gegensatz zum Vorabend, im Tempo einer ordentlichen Bierversorgung bereitgestellt wurde.
Am Freitag schlossen wir den Kreis der EU-Institutionen mit der Europäischen Kommission und dem Europäischen Rat.
Hierzu empfing uns zunächst der Vize-Generaldirektor des Juristischen Dienstes für die Europäische Kommission, Cbr. Prof. Dr. Clemens Ladenburger (Hr) in einem Konferenzraum des Besucherzentrums.
Besonders spannend war zu sehen, inwiefern der Juristische Dienst innerhalb der Europäischen Kommission tätig wird. Die Arbeit des Juristischen Dienstes darf nicht mit der Arbeit des Justizressorts verwechselt werden, die mit ihrem Justizkommissar Didier Reynders vor allem für Justizpolitik zuständig ist.
Im Gegensatz zum Deutschen Bundestag kann das Europäische Parlament keine eigenen Gesetzesvorschläge einbringen - das Initiativrecht liegt bei der Europäischen Kommission.
Die Kernkompetenz des Juristischen Dienstes liegt in der Bewertung von Gesetzesvorhaben, die die Europäische Kommission und die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einleiten möchten. Sie berät die Europäische Kommission und nimmt ebenso Rechtsfolgenabschätzungen vor. Gleichermaßen vertritt der Juristische Dienst die Europäische Kommission in Rechtsfragen.
In der jüngeren Vergangenheit trat der Juristische Dienst auch proaktiv in Erscheinung. So reichte er im Februar 2023 Klage vor dem EuGH gegen Polen ein. Hintergrund waren Verstöße des polnischen Verfassungsgerichtshofes gegen europäisches Recht.
Im Anschluss übernahm Cbr. Hans-Werner Grenzhäuser (Na) und referierte zu den Aufgaben des Europäischen Rates, sowie des Rates der Europäischen Union (ugs. Ministerrat).
Am frühen Nachmittag folgte der Besuch der Vertretung des Unternehmens Siemens in Brüssel. Cbr. Dr. Benedikt Kuttenkeuler (GW), der Leiter des Büros in Brüssel ist, begrüßte uns im Konferenzraum und stellte die unternehmensspezifische Interessenvertretung vor. Entscheidend für Technologieunternehmen sei es, gegenüber Konkurrenten Technologie-Vorteile zu halten, und mit Hilfe dieser auf entsprechende gesetzliche Änderungen hinzuwirken.
Bemerkenswert war, dass das Team für den gesamten Hauptkonzern (exkl. Siemens Healthineers) die Interessen in Europa vertritt und hierfür mit einem Dutzend Mitarbeiter auskommt.
Zeitnah ging es dann in den Norden von Brüssel. Hier hat die Salzburger Vertretung ihren Sitz und der Brüsseler CV- & ÖCV-Zirkel hat zur Kneipe eingeladen, die vom CV-Vorort geschlagen wurde.
Auf der Kneipe gab es erneut die Möglichkeit, mit Jung und Alt ins Gespräch zu kommen, und vor allem die vergangenen 3 Tage Revue passieren zu lassen.
Die Resonanz war eindeutig:
Es war der krönende Abschluss einer ganz besonderen Exkursion und ermöglichte Einblicke in den Alltag der europäischen Politik und Gesetzgebungsprozesses, direkt aus erster Hand diverser Cartellbrüder.
Im Besonderen hat mir die Gesprächsrunde am Donnerstag, als auch die Kneipe gefallen. Zusammen mit Cbr. Julian Halbritter ist es gelungen, Hannover nicht nur bei den 40 mitgereisten Cartellbrüdern vorzustellen, und für die Cartellversammlung im Jahr 2025 zu werben; gleichermaßen konnten hierfür erste Kontakte in die Europäische Union geknüpft werden.
Dem Vorort und dem Cartellverband bin ich dankbar für die Organisation dieser Fahrt, sowie die Bereitstellung der Unterkunft in Brüssel.
Gleichermaßen gilt mein Dank, sowie der Dank des Vorortspräsidenten, Cbr. Simon Postert (H-RG), der Altherrenschaft, sowie dem Altherrenvorstand der KDStV Niedersachsen Braunschweig und der AV Frisia, die diese Fahrt bei den Kraftstoff- und Parkkosten unterstützt haben.
Im Nachgang zur Studienfahrt unterstützte zudem noch die Felix Porsch-Johannes Denk-Stiftung des CV die mitgereisten Cartellbrüder. Auch ihnen sei gedankt.
Schließlich gilt ein letzter Dank noch den Cbr. Philipp van Gels (Vis) und Cbr. Michael Friedl (Alf), die ihre Zustimmung zur Nutzung der Bilder von der Studienfahrt gegeben haben.
Ein Gesetz benötigt im Europäischen Rat zur Zustimmung die Stimmen von 55% der Mitgliedsstaaten, die gemeinsam mindestens 65% der EU-Bevölkerung repräsentieren. ↩︎