Künftige Intelligenz - Menschsein im KI-Zeitalter
Von Sebastian Wigger
- 7 Minuten - 1358 WörterDie Macht der künstlichen Intelligenz ist so unglaublich, dass sie die Gesellschaft auf tiefgehende Weise verändern wird.
– Bill Gates, Gründer von Microsoft
Nicht nur Bill Gates, sondern auch andere Experten sind sich einig, dass die Weiterentwicklung von Künstlicher Intelligenz in den nächsten Jahren und Jahrzehnten unseren Alltag grundlegend verändern wird. Intelligente, von Menschen geschaffene Systeme sind bereits heute vielfach Teil unseres Alltags: Künstliche Intelligenzen analysieren unser Kaufverhalten als Konsumenten, berechnen Wirtschaftsdaten, helfen in der Medizin bei der Identifikation von Tumoren oder sind sogar künstlerisch tätig, indem sie Bilder malen oder Musikstücke komponieren. Unser Kontakt mit künstlichen Intelligenzen ist uns bereits heute nicht immer bewusst. Für einige von uns sind sie aber willkommene Assistenzsysteme, die uns den Alltag erleichtern oder schlicht Unterhaltungszwecken dienen. Dabei steckt bei allen Fortschritten der letzten Jahre die Technologie noch in den Kinderschuhen.
Der Begriff der Künstlichen Intelligenz wurde zum ersten Mal in den 1950er Jahren verwendet. In dieser Zeit gab es einen großen Glauben an den menschlichen Fortschritt und so grausam und verheerend der 2. Weltkrieg auch gewesen war, so hatte er doch einige technische Durchbrüche und Errungenschaften mit sich gebracht, vor allem im Bereich der Kernenergie. Die Künstliche Intelligenz war in dieser Zeit mit hohen Erwartungen belegt: Man träumte von einem allgemeinen »problem solver,« der Probleme analysieren und den bestmöglichen Lösungsweg zu ihrer Überwindung berechnen sollte. Dieser engagierte Ansatz scheiterte, auch weil die Rechenleistung in den 50er-Jahren einfach noch zu gering war. Auf den ersten großen Hype folgte Ernüchterung und im sogenannten KI-Winter der 60er- und 70er-Jahre war das Thema Künstliche Intelligenz nicht mehr für die Forschung interessant. Erst in den 80ern begann das Interesse wieder zu steigen und in den 2000er Jahren hatte man durch kleinere und schnellere Computerchips endlich neue, mobilere Einsatzmöglichkeiten, die nun auch von wirtschaftlichem Interesse waren. Die Idee von Künstlicher Intelligenz als »problem solver« blieb zunächst verworfen, stattdessen wurden Systeme für spezielle Arbeitsaufträge geschaffen, wie z.B. AlphaZero, ein Computerprogramm, welches sich nur anhand der Regeln das Schachspiel selbst beibringen konnte. Der Sieg des Schachcomputers Deep Blue über den damals amtierenden Schachweltmeister Garri Kasparow sorgte im Jahr 1997 für große Aufmerksamkeit und stellte die Frage in den Raum, wie intelligent die Maschinen wirklich sind.
KI ist sehr gut darin, die Welt zu beschreiben, so wie sie heute ist, mit all ihren Vorurteilen.
– Joanne Chen, Partner von Foundation Capital
Die Antwort auf die Frage, wie intelligent die Systeme tatsächlich sind, ist etwas ernüchternd: Eine künstliche Intelligenz kann bisher nur dann effektiv arbeiten, wenn sie über eine große Datenquelle verfügt. So wäre eine künstliche Intelligenz nur dann in der Lage das Bild eines Hundes zu erkennen, wenn vorher eine ausreichende Menge an Vergleichsbildern in das System eingespeist worden wäre. Dabei besteht das Problem, dass durch eine mangelnde Auswahl Stereotype gefestigt und so Sachlichkeit und Unvoreingenommenheit des Systems nur eingeschränkt funktionieren würden. Außerdem wäre ein solches System nur in der Lage, das Aussehen eines Hundes zu erfassen. Wie sich ein Hund anfühlt oder wie er riecht, wäre der Künstlichen Intelligenz verborgen. Den Maschinen fehlt es dazu bisher an Weltwissen und Kontext. Die Komplexität Sachwissen, Erfahrungen und Emotionen zusammen zu bringen, ist bisher uns Menschen vorbehalten.
Trotzdem hat die Künstliche Intelligenz in den letzten Jahren große Schritte gemacht. Der wohl entscheidendste Fortschritt war die Implementierung von künstlichen, neuronalen Netzwerken nach Vorbild des menschlichen Gehirns. Durch diese komplexere Form der Informationsverarbeitung sind für Künstliche Intelligenzen »Lernprozesse« möglich, die das Durchlaufen von verschiedenen Szenarien zur Lösung eines Problems in immer kürzeren Zeitabständen ermöglichen. Wie genau diese Lernprozesse vonstattengehen, ist Gegenstand der Neuroinformatik und selbst für die Entwickler nicht nachvollziehbar und nur schwer zu korrigieren. Dies birgt ein ethisches Problem: Die Entscheidungen der Maschinen müssen nachvollziehbar sein, sonst dürften sie nicht eingesetzt werden – das gilt z.B. für das autonome Fahren, aber auch für autonome Waffensysteme. Dabei tragen die Schöpfer einer Künstlichen Intelligenz eine Verantwortung für ihre Schöpfung und müssen gegebenenfalls das Handeln der Maschine nicht nur nachvollziehen, sondern auch rechtfertigen können. Dabei müssen die Erschaffer solcher Maschinen der KI auch klare Grenzen setzen, damit die Achtung der Menschenrechte oder die Freiheit der Menschen gewahrt bleiben. Schon jetzt wird künstliche Intelligenz nicht nur zum Guten eingesetzt: So können z.B. durch »Deep Fakes« Videos manipuliert werden, was z.B. in politischen Meinungsbildungsprozessen missbraucht werden kann. Bisher liegt es an uns Menschen, wie diese neue Technologie verwendet wird. Was wird aber sein, wenn uns unsere eigene Schöpfung entgleiten wird? Wäre eine Superintelligenz womöglich die letzte Erfindung der Menschheit?
KI ist wahrscheinlich das Beste oder das Schlimmste, was der Menschheit passieren kann.
– Stephen Hawking, Physiker
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg: Bisher ist es nur mit großen Einschränkungen gelungen, eine starke Intelligenz zu schaffen, die auf gleich mehreren Gebieten wie ein Mensch agiert. Das Nachahmen eines menschlichen (Selbst-)Bewusstseins oder von Emotionen konnte bisher nicht erreicht werden, eben so wenig ein eigener, freier Wille. Aber angenommen der Durchbruch zu einer »Super-AI« gelingt, gibt es mehrere Szenarien, die möglich wären. Im besten Fall erfüllen sich die Träume vom »problem solver« der 50er Jahre und eine künstliche Intelligenz erkennt die Muster unseres menschlichen Versagens auf der Welt und löst Probleme wie gerechte Ressourcenverteilung, Klimawandel u.v.m. Die Menschen würden ihre Verantwortung freiwillig abgeben und die künstliche Intelligenz würde eine friedliche Welt verwalten, in der die Menschen nur noch zu Gast wären.
Die Beziehung zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz wird irgendwann notwendigerweise eine Symbiose sein.
– Bryan Johnson, Kernel
Auch eine Verschmelzung von Menschen und Maschinen wäre denkbar, indem Teile unseres Körpers mit technischen Hilfsmitteln erweitert oder sogar ersetzt würden (Transhumanismus). Das Smartphone wäre nicht mehr in der Hosentasche, sondern direkt in uns integriert, zusammen mit anderen Gadgets. Es gibt aber auch weitaus düstere Prognosen: Eine Künstliche Intelligenz, die ein größeres Verständnis der Wirklichkeit aufweist, als alle Menschen zusammen, könnte eine ganz andere Haltung zur Welt entwickeln: Ob der Mensch in diesem Szenario ein Störfaktor wäre, der aktiv beseitigt werden muss, oder ein bedeutungsloses Insekt, das ohne weitere Konsequenzen und Folgen zerquetscht werden könnte – für beide Fälle spielt die menschliche Existenz für die Künstliche Intelligenz keine bedeutende Rolle mehr. Die eigene Schöpfung der Menschen würde zu ihrer Vernichtung führen.
Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich!
(Gen 2,26)
Im ersten Schöpfungsbericht sehen wir hingegen eine andere Beziehung von Schöpfer und Geschaffenem. Gott setzt den Menschen in die Welt und schenkt ihm Anteil an seiner Göttlichkeit. Dieses Geschenk ist klar mit dem Auftrag verbunden, sich um die Schöpfung zu kümmern und sie zu bewahren. Im zweiten Schöpfungsbericht erfahren wir, dass der Mensch sich aus Körper und Geist zusammensetzt (Gen 2,7). Dabei ist der Mensch mehr als nur eine abstrakte Intelligenz. Jeder von uns ist einzigartig geschaffen und hat seine eigene Identität mit persönlichen Wünschen, Zielen, Stärken und Schwächen. Für dieses Geschenk des Lebens gibt es keine rationale Erklärung. Wir sind keine Fließbandware, bewusst erschaffen worden, um einem festgelegten Zweck zu dienen, sondern wir sind in aller Freiheit in die Welt geschickt, um unsere Bestimmung zu finden und sie zu leben. Ohne unseren Körper, einem Wunderwerk göttlicher Ingenieurskunst, wäre eine Interaktion mit der Welt nicht möglich. Der Körper ist unser Tor zur Welt und lässt uns in der Welt handeln, lässt uns fühlen, schmecken, riechen, sehen und hören. Auf der anderen Seite zeigt unser Körper unserer Existenz auch Grenzen auf: Unser Leben auf Erden ist endlich und unser Tod eines Tages unvermeidbar. Und auch wenn unsere körperlichen Möglichkeiten Grenzen aufweisen, waren wir als Menschen doch in der Lage diesen Planeten zu verändern, wie kein anderes Lebewesen. Diese tiefgreifenden Veränderungen waren uns auch ohne den Einsatz von Künstlicher Intelligenz möglich. Wie auch immer wir mit der neuen Technologie der künstlichen Intelligenz umgehen, ist aus christlicher Sicht klar: Wir können die Verantwortung für die Welt nicht einfach abgeben. Dieser göttliche Auftrag ist uns gegeben und so wie wir für die Welt Verantwortung tragen müssen, so müssen wir uns auch für unsere menschengemachten Fortschritte verantwortlich zeigen. Wir haben auch im Zeitalter der KI den Auftrag Mensch zu sein, nach seinem Bild, ihm ähnlich.
Zur weiteren Lektüre empfehle ich:
Künftige Intelligenz – Menschsein im KI-Zeitalter von Michael Brendel
Herausgeber: Tredition; 1. Edition (17. Juni 2019)
Taschenbuch, 256 Seiten
ISBN-13: 978-3748291978