Über ein Portraitfoto und ein Kautschukinstitut
- 8 Minuten - 1625 WörterCarte de Visite – Portraitfotos sind wunderbare Andenken und halten Momentaufnahmen für die Ewigkeit fest.
Insbesondere ältere Potrtraitfotos sind daher umso bedeutsamer im Kurs und beliebte »Ware« unter den Studentika-Händlern. Es verwundert daher nicht, dass mit einer Regelmäßigkeit auch Konvolute mit Frisia-Vergangenheit auf den Online-Auktionsseiten der Republik offeriert werden.
Bbr. Johannes Arnold ist hier besonders aufmerksam und ihm ist es zu verdanken, dass insbesondere im Sommersemester 2020 bedeutende Stücke ihren Weg in die Oeltzenstraße gefunden haben.
Eines davon zeigt unseren am 11.04.1954 verstorbenen Bundesbruder AH Heinrich Assbroicher – damals noch mit einem Stürmer als Kopfcouleur und fest in die Kamera blickend.
Er könnte es, so ein Hinweis eines Cartellbruders in einer geschlossenen CV-Gruppe auf Facebook, einem Dr. med. Theodor Hansen, rec. am 7. April 1894 bei der Ripuaria Bonn und in der Folge Assistenzarzt an der dermatologischen Klinik der Anstalten Lindenburg bei Köln im Wintersemester 1905/06 dediziert haben. Ob ein verwandschaftliches Verhältnis zwischen Dr. Hansen und unserem Mitgründer Heinrich Hansen bestand konnte bisher leider nicht in Erfahrung gebracht werden.
Dieser Artikel versucht AH Assbroicher als Bundesbruder vorzustellen, und ergänzt hierzu eine bisher nicht berücksichtigte Entwicklung zu seiner Person an der Gottfried-Wilhelm-Leibniz Universität.
AH Assbroicher zwischen Technischer Hochschule und Frisia
Heinrich (voc. Heinz) Assbroicher, wurde am 17. November 1883 in Mönchengladbach geboren und besuchte dort das Königliche Gymnasium.
Sein Studium der Elektrotechnik nahm er zum Wintersemester 1903/04 an der Technischen Hochschule Hannover auf und schloss dieses im Juli 1908 mit der bestandenen Diplom-Hauptprüfung ab.1
Mit Beginn des Studiums trat er am 6. November 1903 der AV Frisia bei und wird im Receptionsbuch unter der Nr. 26 geführt.
Seine erste Charge bekleidete er im Wintersemester 1904/05 unter Senior Oskar Grohmann als Consenior und war unter anderem im darauffolgenden Wintersemester 1905/06 Senior der Frisia.
Zum Sommersemester 1909 ließ sich AH Assbroicher nach Beendigung des Studiums philistrieren.2
Bereits im Vorfeld des Erwerbs des Hauses in der Hausmannstraße 10 unterstützte er die Aktivitas bei der Anmietung einer Etage in der Arndtstraße 39, die zwischenzeitlich zum 1. Juni 1919 bezogen worden war.3
Wie der Bericht über das Feriensemester 1919 schilderte hatte die Aktivitas der Frisia nach dem Ende des 1. Weltkrieges mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen und entschied sich daher zum Wechsel vom Stürmer zur kostengünstigeren Hinterhauptcouleur, für die der Stoff von AH Assbroicher gestiftet worden war.4 Dieser Moment prägt somit auch ein Stück unserer Gegenwart.
Assbroicher blieb in der Folge der Frisia eng verbunden, welches sicherlich auch in der Ortsansässigkeit begründet lag. So würdigte ihn der damalige AH-Senior, Bbr. Karl v. Danwitz in seinem Bericht des ersten Nachrichtenblattes Januar 1924 als einen von mehreren engagierten Bundesbrüdern, die »durch ihr Sorgen um Frisia [sein] Amt erleichterten.«5
Darüber hinaus beteiligte sich Heinrich Assbroicher an der Verständigung zwischen der Frisia und der Teuto-Rhenania, zu der er vom CC beauftragt worden ist.6
Weitere Beispiele seines Engagements waren die Vorbereitung und Organisation eines Kostüm-Festes anlässlich von Rosenmontag, auf dem die Aktiven in einer Verlosung Einnahmen für einen zukünftigen Häuserkauf sammelten.7
Als Alter Herr Frisiae engagierte sich Assbroicher aber vor allem als Vorsitzender der Frisenheim-GmbH von 1922–1924, als auch beim Nachfolger Frisen-Heimverein von 1926–1932 und erhielt für seine Verdienste um die Bereitstellung des Hauses in der Hausmannstraße 1932 das silberne Ehrenband.8
Gummi-Forschungsinstitut an der Technischen Hochschule
Universitär leitete Assbroicher, seit 1928 ordentliches Vorstandsmitglied der Continental Gummi AG, das Bestreben einen Lehrstuhl für Gummichemie an der TH einzurichten. Hierzu stand er seit März 1938 in regem Austausch mit dem damaligen Rektor der Technischen Hochschule, Hanns Simons.
So sollte zum Sommersemester 1939 mit der Lehre begonnen werden, um Studenten einen Einblick in »besondere Aufgaben und Erfordernisse der gummiverarbeitenden Industrie zu vermitteln.« Der Lehrstuhl war zunächst, auch aus finanziellen Gründen, auf ein Jahr in Form einer Gastvorlesung (Einstündige Vorlesung, ab 2. Halbjahr mit Praktikum) beschränkt, und sollte bei Erfolg ausgebaut werden9.
An der Technischen Hochschule Hannover wurde er am 16. September 1940 aufgrund seines Einsatzes um den Lehrstuhl Gummichemie zum Ehrenbürger ernannt.10
Ab 1940 nahm die Frage nach der Errichtung eines Gummi-Forschungsinstituts in Hannover Fahrt auf. Assbroicher, stand zu diesem Zeitpunkt den Plänen vorsichtig gegenüber, da eine Mehrheit der Gummi-Industrie eine Ansiedlung in Berlin präferierte. Allerdings unternahm er mit einem Schreiben an die Fachgruppe Kautschuk-Industrie am 24. April 1941 erste Kontaktversuche, um für ein hannoversches Forschungsinstitut Kautschuk zu werben.
Bereits im Frühjahr 1941 intensivierte er zudem den Kontakt zu Alexander Matting, der Nachfolger von Hanns Simons im Amt des Rektors der TH war.
Wesentlicher Antrieb Assbroichers im Hinblick auf Continental war der Facharbeitermangel in der Industrie. Er erachtete eine Vorbildung der Studenten insbesondere aufgrund der geplanten Ausweitung des Einsatzes der neuen Buna-Technologie als notwendig.11
Von Seiten Continentals wurden darüber hinaus noch zwei weitere Ziele verfolgt:
- Mittel- bis langfristiger Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz.
- Wende in der Forschungsposition, Reduzierung der Abhängigkeit von der forschungsdominierenden IG Farben. (Erker 2020: 389 f.).
Stieß der Vorstoß Assbroichers bei den Industriellen auf geteilte Meinungen, stimmte Rektor Matting im Mai 1941 den Plänen zu. Ebenso genoss Assbroicher die volle Unterstützung vom Leiter des Reichswehramtes für Wirtschaftsaufbau (RWA), Dr. Eckell, sowie beteiligter Ministerien und konnte sich schlussendlich durchsetzen.12
In Verbindung mit einer geheimen Arbeitstagung des Reichsamtes für Wirtschaftsausbau im Hauptgebäude der TH am 19. Juni 1942 wurde das Vierjahresplaninstitut für Kautschukforschung gegründet13.
Assbroicher wurde in der Folge Mitglied des Kuratoriums, sowie des Technischen Beirates vom Kautschuk-Institut.14
Festzuhalten blieb allerdings, dass das Institut trotz der vorgenommenen Baumaßnahmen bis Kriegsende nicht über den Status einer »behelfsmäßigen und nur provisorisch eingerichteten Forschungseinrichtung« herauskam.15
Aufarbeitung durch die LUH
Mit der vom Präsidium der Gottfried-Wilhelm-Leibniz Universität (LUH) im Jahre 2016 herausgegebenen Studie zur Untersuchung der Nationalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen an der damaligen Technischen Hochschule Hannover wurde Heinrich Assbroicher als objektiv bedenklicher NS-Verstrickter eingestuft und die Verleihung der Ehrenbürgerwürde beanstandet.16
Die Beanstandung der Verleihung des Titels resultiert im Falle Assbroichers nicht aus den Bemühungen um den Lehrstuhl Gummichemie und die Errichtung des Kautschuk-Institutes per se, sondern vielmehr aufgrund der anschließenden Entwicklungen rundum das Kautschuk-Institut, sowie dem ausgebliebenen Entzug (sog. Actus contrarius) der Ehrenbürgerwürde.17
Unterbringung von KZ-Häftlingen im Institutsgebäude
KZ-Häftlinge stellten aus Sicht des Unternehmens zu diesem Zeitpunkt die »letzte verbliebene Arbeitskräftereserve« dar.18
Erste unmittelbare Einsätze von KZ-Häftlingen bei der Continental in Hannover sind ab März 1944 nachweisbar:
500 neue KZ-Häftlinge sollten im März 1944 aus dem KZ Ravensbrück zum Arbeitseinsatz nach Hannover überführt werden. Fraglich blieb die Unterbringung der Häftlinge. Hierfür sollte der Hauptbetriebsobmann der Continental, Gustav Jahns, im Auftrag Assbroichers Kontakt zum Rektor der Technischen Hochschule (mittlerweile Helmut Pfannmüller) aufnehmen. Angedacht war die Umwidmung der Räumlichkeiten des eingerichteten Vierjahresplan-Instituts für Kautschuk.19
Rektor Pfannmüller lehnte den Vorschlag der Umfunktionierung durch die Unterbringung ausländischer Arbeiter ab. Zwar sei in Rücksprache mit der Continental eine Umwidmung prinzipiell gestattet worden, allerdings unter der Bedingung, dass die Räumlichkeiten nicht für die Beherbergung von ausländischen Arbeitskräften genutzt werden.20
In Folge der andauernden Korrespondenz lenkte der Rektor schließlich ein, nachdem Heinrich Assbroicher ihm in einem Brief am 7. Juli 1944 versprach, dass in diesem Conti-Lager Welfengarten nur solche Ausländer unterzubringen seien, „die in jeder Beziehung – charakterlich und auch in ihrem Äußeren – einwandfrei sind". Er unterbreitete dem Rektor vielmehr ein Angebot, wonach durch selektive Auswahl entsprechender fachlicher Ausländer das Lager als Muster-Einrichtung dienen könnte.21
Fazit
Heinrich Assbroicher kann als unermüdlicher, engagierter Bundesbruder angesehen werden, dem auch in schwierigen Zeiten nach dem 1. Weltkrieg die Frisia wichtig war. Seinem außerordentlichen Engagement ist es zu verdanken, dass die Wohnheimfrage auch in wirtschaftlich prekären Zeiten geklärt werden konnte.
Darüber hinaus förderte er in vielerlei Hinsicht das Leben der Frisia als Akademische Verbindung und versuchte in der Kontroverse um die Gründung der Teuto-Rhenania zwischen beiden Verbindungen zu vermitteln.
Entsprechenden Einsatz zeigte er auch bei den Bemühungen um den Lehrstuhl für Gummichemie an der Technischen Hochschule Hannover. Folgerichtig honorierte die TH zum damaligen Zeitpunkt seine Verdienste um die Hochschule als Forschungs-Standort.
Eine solche Würdigung war vertretbar und wäre unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Verleihung mindestens gerechtfertigt gewesen.
Vielmehr muss allerdings die folgende Entwicklung rundum das Kautschuk-Institut kritisch betrachtet werden, an der Assbroicher aufgrund der Korrespondenz mit der TH Hannover und Rektor Pfannmüller intensiv beteiligt war.
Für weitergehende Informationen zum beruflichen Lebensweg Assbroichers bei der Continental empfehle ich das 2020 erschienene Buch von Paul Erker (867 Seiten), welches sich mit der Firmengeschichte Continentals und den in der Nachkriegszeit übernommenen Unternehmen Phoenix, VDO, Teves und Semperit zwischen 1933-1945 beschäftigt.
Archivverweis
Archiv der Akademischen Verbindung Frisia im CV zu Hannover
- Rezeptionsbuch der AV Frisia, Hannover. 1902 bis 1938.
- Nachrichtenblätter / Rundschreiben. 1. Teil 1914 – 1931.
- Nachrichtenblätter / Rundschreiben. 2. Teil 1932 – 1938.
Universitätsarchiv der Gottfried-Wilhelm-Leibniz Universität Hannover
- ATIB / UniA Hann., Best. 9, Nr. 116, Bl. 37.
- ATIB / UniA Hann. 146 A, Acc. 10/85, Nr. 55.
- ATIB / UniA Hann. 146 A, Acc. 10/85, Nr. 185 und 186.
Literaturverweis:
- Akademische Verbindung Frisia (2002): Einhundert Jahre Akademische Verbindung Frisia. Beiträge zur Geschichte der AV Frisia in Hannover 1902 – 2002. Hannover: AV Frisia. S. 68; 75; 270.
- Erker, Paul (2020): Zulieferer für Hitlers Krieg. Der Continental-Konzern in der NS-Zeit. Berlin: De Gruyter Oldenbourg.
- Präsidium der Gottfried-Wilhelm-Leibniz Universität Hannover [Hrsg.] (2016): Nationalsozialistische Unrechtsmaßnahmen an der Technischen Hochschule Hannover. Beeinträchtigungen und Begünstigungen von 1933 bis 1945. Petersberg: Michael Imhof Verl.. S. 117 f.; 134 f..
vgl. ATIB / UniA Hann., Best. 9, Nr. 116, Bl. 37 ↩︎
Receptionsbuch: 7 ↩︎
vgl. Nachrichtenblätter / Rundschreiben, 1. Teil 1914 – 1931: 8 f. ↩︎
vgl. ebd.: 12 ↩︎
vgl. ebd.: 17 ↩︎
vgl. ebd.: 29 ↩︎
vgl. ebd.: 43 ↩︎
vgl. AV Frisia 2002: 270 ↩︎
vgl. ATIB/UniA Hann. 146 A, Acc. 10/85, Nr. 186: 25.3.1939 ↩︎
vgl. Präsidium der LUH 2016: 134 ↩︎
vgl. ATIB/UniA Hann. 146 A, Acc. 10/85, Nr. 186: 24.4.41 ↩︎
vgl. ATIB/UniA Hann. 146 A, Acc. 10/85, Nr. 186: 18.06.1941 ↩︎
vgl. ebd.: 19.01.1942; Erker 2020: 388 ↩︎
vgl. Präsidium der LUH 2016: 134 ↩︎
Erker 2020: 391 ↩︎
vgl. Präsidium der LUH 2016: 135 ↩︎
vgl. ebd.: 117 f. ↩︎
Erker 2020: 548 ↩︎
vgl. ebd.: 549 f. ↩︎
vgl. ebd.: 550 ↩︎
ebd.: 551 ↩︎