Geschichte des Cartellverbandes
Der Cartellverband (CV) ist der Zusammenschluss von Verbindungen, die nach ihrer Satzung auf den Grundsätzen Religion, Wissenschaft und Freundschaft aufgebaut sind. Im 19. Jahrhundert herrscht im deutschsprachigen Raum bei den Regierungen und Hochschulen eine religiöse Gleichgültigkeit. Die katholische Kirche muss sich verstärkt gegen Angriffe aller Art verteidigen, insbesondere der preußische Staat versucht durch die Säkularisation und eine auf ein protestantisches Staatskirchentum abzielende Politik ihre Institutionen zu zerstören. Bischöfe werden inhaftiert oder leben in Verbannung, der Abwehrgeist der Katholiken fördert aber die Gründung katholischer Vereine und führt zum Zusammenschluss auf den Katholikentagen.
Im Studentenleben geben einige Korporationen, die von ihren Mitgliedern das Austragen von Ehrenhändeln mit der Waffe verlangen, den Ton an. Alle anderen haben nichts zu sagen, niemand kümmert sich um sie. Seit 1841 entstehen an Universitäten die ersten Vereinigungen von katholischen Studenten, ihnen ist die unbedingte Ablehnung jeder Art von Zweikampf aus Gründen der Vernunft und der kirchlichen Gesetzgebung gemeinsam. 1856 entwickeln sich zwischen den katholischen, farbentragenden Verbindungen Aenania in München und Winfridia in Breslau freudschaftliche Beziehungen, dies ist die Geburtsstunde des Cartellverbandes.
Diesem Verband schliessen sich bald andere Studentenverbindungen (farbentragend) und Studentenvereine (nicht farbentragend) an, auf den Katholikentagen finden regelmäßig Treffen statt. Auf einer Beratung über gemeinsame Statuten kommt es 1865 zum Bruch zwischen Verbindungen und Vereinen, die Vereine schließen sich später zu einem eigenen Verband, dem Kartellverband (KV), zusammen.
Der CV wächst durch Aufnahme von Verbindungen und Neugründungen weiter, auch an Technischen und Tierärztlichen Hochschulen ist er nun vertreten.
1904 beginnt der akademische Kulturkampf mit dem Ziel, die katholischen Verbindungen aus der Hochschullandschaft zu vertreiben. Im Name der akademischen Freiheit, die angeblich durch die konfessionelle Bindung in Korporationen in Gefahr schien, setzt eine Welle von Angriffen durch die schlagenden Verbindungen ein. Sie findet ihren Höhepunkt in einem von Corps am Aschermittwoch in Jena veranstalteten Umzug, in der die katholische Kirche scharf angegriffen wird. Aufgrund der inneren Geschlossenheit der katholischen Verbände verstummt der Akademische Kulturkampf nach einigen Jahren.
Gegen den Widerstand einiger Verbindungen wird im Verband als Ausdruck der gemeinsamen Freundschaft als Anrede das cartellbrüderliche »Du« eingeführt. Auch nach dem 1. Weltkrieg wächst der CV in der Anzahl der Verbindungen und Mitglieder weiter. 1932 beziehen die deutschen Bischöfe und der CV eindeutig gegen den Nationalsozialismus Stellung und bezeichnen die Zugehörigkeit zur NSDAP mit der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche und zum CV als unvereinbar.
Nach der Machtergreifung und Hitlers Reichtagsrede vom 21. März 1933 ziehen die Bischöfe ihre Erklärung zurück. Der CV und die Einzelverbindungen müssen ihre Struktur ändern, anstelle von demokratischen Entscheidungsprozessen steht nun das Führerprinzip, das dem Verbands- bzw. Verbindungsführer die alleinige Entscheidungsgewalt gibt. Die Österreichischen und sudetendeutschen Verbindungen trennen sich vom CV und bilden eigene Verbände, das Katholizitätsprinzip muss unter staatlichem Druck aufgegeben werden. 1935 löst sich der CV auf eigenen Beschluss auf, bis 1938 lösen sich auch die Verbindungen auf oder werden durch die Gestapo verboten.
Nach dem 2.Weltkrieg beginnt in den drei westlichen Besatzungszonen der Wiederaufbau des CV, die Verbindungen werden wiederbegründet, tragen aber noch nicht Farben und ihre alten Verbindungsnamen, da dies von den Besatzungsmächten nicht erlaubt wird. 1950 kommt es zum Zusammenschluss der Zonenverbände auf der ersten gemeinsamen Versammlung nach dem Krieg, in der Folgezeit gibt sich der Verband eine neue Struktur.
Die Ereignisse des Jahres 1968 und der folgenden Zeit wirken sich auch auf den CV aus. Die Grundsätze, insbesondere das Katholizitätsprinzip, sind nicht mehr unumstritten und werden auf den Versammlungen diskutiert, ohne dass eine Änderung erfolgt.
Nach der deutschen Wiedervereinigung wird 1993 die erste ostdeutsche Verbindung in den CV aufgenommen, weitere folgen.
2023 umfasst der Cartellverband etwa 27.000 Mitglieder in 130 Verbindungen an den wesentlichen Universitätsstandorten in Deutschland sowie in Freiburg (Schweiz), Rom (Italien), Straßburg (Frankreich), Gleiwitz (Polen), Löwen (Belgien), Tokio (Japan) und Dschang (Kamerun).